Der andauernde Gewichtsverlust konnte gestoppt werden. Der Patient befindet sich in verbessertem Allgemeinzustand. Der mehrwöchige Aufenthalt in vertrauter Umgebung dürfte gute Voraussetzungen für die Belastung durch die hochdosierte Chemotherapie geschaffen haben. Vorbereitend sind sind folgende Maßnahmen einzuleiten...
So liest es sich im ärztlichen Bericht. Mit einem guten Gefühl fahren wir wieder in die Klinik.
Neue Ärzte, neues Pflegepersonal, eine neue Station.
Einzelzimmer mit Isolationsmöglichkeit. Die Fenster können zentral verriegelt werden, alle Türen haben spezielle Dichtungen, nur von aussen bedienbare Schlösser und ein Kontrollfenster. Zimmer und Bad werden videoüberwacht. Monitore, Kabel, Schläuche, Edelstahl und der vertraut-scheussliche Geruch nach Desinfektionsmitteln.
Man erklärt uns ausführlich die weitere Vorgehensweise und die nötigen vorbereitenden Untersuchungen. Ich darf dich weiterhin besuchen, muss aber zuvor sterile Kleidung anziehen, eine Haube und Mundschutz tragen. Die Schwester bringt Probeexemplare und wir albern damit herum. Um die Isolationszeit besser zu überstehen, werden die Patienten von mehr Pflegepersonal als sonst üblich betreut. Eine psychotherapeutische Begleitung ist obligatorisch.
Alle mitgebrachten Gegenstände werden desinfiziert. Du hast besonders Angst um den Laptop - verständlich, wird er doch in der nächsten Zeit deine Nabelschnur zur Welt sein. Ich darf dir keine Leckereien mehr mitbringen, der keimarme Ernährungsplan ist streng und hört sich wenig schmackhaft an. Blumen sind verboten. Bücher und Zeitschriften müssen mit UV-Licht behandelt werden.
Du hast dir vorgenommen, das alles zu ertragen, zu überstehen. Es ist unsere einzige Chance im Kampf gegen den Krebs. Es wird dich nicht heilen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit den Krebs zurückdrängen. Welche Opfer müssen für ein bißchen Hoffnung gebracht werden! Aber wir sind so weit und so lange diesen steilen Weg gegangen, dass wir jetzt nicht aufgeben werden. Jetzt nicht.
Wir wollen leben - gemeinsam und möglichst lange. Zeit messen wir nicht mehr in Jahren, sondern in Wochen und Monaten. Das hat die Krankheit uns schmerzhaft gelehrt. Wir sind etwas ruhiger geworden, nüchterner. Auch geduldiger. Und viel bewusster. Aber die tiefsitzende Angst ist geblieben. Dagegen gibt es kein Mittel. Man kann sie nur aushalten.
Ich muss jetzt gehen und dich in deinem kleinen Gefängnis zurücklassen. Isoliert. Du lächelst beim Abschied immer noch so tapfer. Glaubst du wirklich, ich würde das nicht durchschauen?
Der Fahrstuhl kommt. Hoffentlich ist niemand drin. Tränen sind mir immer noch peinlich. Pech gehabt - der Lift ist brechend voll. Ich schaue zu Boden. Die Menschen hier sind zum Glück mit sich selbst beschäftigt, niemand sieht mich an. Eingepfercht zwischen Anderen bin ich isoliert. So ähnlich wie du.
Gott, bist du da?